Zur Einstimmung auf das folgende Kapitel möchte ich Dir mal wieder einen Medizinerwitz erzählen. Was ist der Unterschied zwischen einem Internisten, einem Chirurgen, einem Psychologen und einem Pathologen? Der Internist weiß alles, kann aber nichts. Der Chirurg kann alles, weiß aber nichts. Der Psychologe weiß, dass er nichts weiß und der Pathologe kann alles und weiß alles, aber es hilft nichts mehr.
Kommt man als Student das erste Mal in die Pathologie, kann man auch nichts und weiß nur, wenn das immer so riecht, na dann Mahlzeit.
Die Mikrobiologie und Virologie hatte uns ja früher schon in das Gebäude geführt, indem auch die Pathologie zu Hause war. Manchmal auf dem Weg zum Hörsaal waren die Türen zur Sektionshalle nicht vollständig geschlossen und bei dieser Gelegenheit bekam man schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf den Patho-Demo Kurs.
Diesen Geruch zu beschreiben bedürfte es wahrscheinlich der Fähigkeiten eines Jean-Baptist Grenouille aus Patrick Süskinds Parfum. Ist man nur mit einem normalen Geruchssinn ausgestattet dann beschreibt man das am besten so:
es ist unbeschreiblich, aber wenn man das einmal gerochen hat, vergisst man es nie mehr und erkennt es jederzeit und überall wieder.
Als die erste Sezierübung anstand, war eine gewisse Unruhe unter uns zu spüren, waren wir durch die Anatomie ja schon einiges gewöhnt, aber irgendwie waren wir uns sicher, das war noch nicht das Ende der Fahnenstange. Hatte man sich als Kind noch vehement geweigert, sich bei Husten frei verkäuflichen Hustenbalsam auf die Brust schmieren zu lassen, sah man in diesen Pasten jetzt die Rettung. Da standen wir also in weißen Kitteln mit weißen Gummistiefeln und weißen Gummischürzen, roten Gummihandschuhen und einem Schnurrbart aus Campher Salbe. Meine Atemwege waren bis in den letzten Winkel so vercamphert, da hatte kein Schnupfen-Virus mehr eine Chance. Kennst Du die Werbung für Hustenbonbons, „Sind sie zu stark, bist Du zu schwach!“, das beschreibt es ziemlich genau, wie wir uns fühlten.
Als man den Tränenfluss in den Augen wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte und sich damit abgefunden hatte, dass die Wimperntusche inzwischen auch in andere Bereiche des Gesichts vorgedrungen war, machte man sich auf in die Sektionshalle.
Im Gegensatz zu den Sektionen in der Humanmedizin war das bei uns immer spannend, man wusste ja nie was einen da so erwartete. Das konnte vom Meerschweinchen bis zur Giraffe alles sein.
Die Pathologie ist die Lehre von den Krankheiten und den sich daraus ergebenden Veränderungen im Körper. Damit sind wir auch schon am entscheidenden Punkt angekommen, will man etwas als Veränderung erkennen, ist es von großem Vorteil, wenn man weiß wie es vor der Veränderung ausgesehen hat. Eine Fettleber kann man nur diagnostizieren, wenn man weiß wie eine gesunde Leber aussieht. Dafür war die Anatomie gedacht, das hatten wir jetzt begriffen. Pathologie ist aber richtig gemein, die Veränderung zu erkennen war das eine, eine Erklärung für diese Veränderung zu finden etwas ganz anderes. Zum Glück hatte man durch die Klinikstunden schon gelernt, wie man sich zum Deppen macht und dabei einigermaßen Haltung bewahrt, diese Fähigkeiten konnte man in den Patho-Demo Kursen jetzt noch perfektionieren.
Wie lief so etwas ab?
Also immer eine Hand voll Studenten bekam einen Tisch mit totem Tier, das dann vorschriftsgemäß zu sezieren war.
Waren alle Gruppen fertig, nahm man auf den Sitzreihen des Hörsaals Platz und jedes sezierte Tier wurde von einem aus der jeweiligen Gruppe vorgestellt.
Als ich das erste Mal unten stand, ertappte ich mich tatsächlich dabei wie ich kurzfristig dachte „Der Kater hat es gut, der hat es schon hinter sich!“.
Mit der Zeit bekam man das alles besser in den Griff, auch der Konsum an Campher-Paste ging zurück, sehr zur Freude meiner Nasenschleimhaut. Ein Wein-Sommelier schmiert sich schließlich auch nichts unter die Nase, wenn er zur Weinverkostung schreitet…und ein richtiger Pathologe ist auf seine Art auch ein Verkoster.
Du glaubst gar nicht wie sich Körperflüssigkeiten blumig beschreiben lassen. Als Student macht man nur einmal den Fehler eine Körperflüssigkeit mit „Bah, das stinkt!“ zu charakterisieren. „Wenn sie möchten, dass es gut riecht, dann hätten sie Konditorin werden müssen!“ ist da dann noch das freundlichste was man vom Chef-Sommelier zu hören bekommt.
Die Facharztausbildung in Pathologie dauert fünf Jahre, soviel Zeit hatten wir nicht, da musste aus unserer Sicht auch mal ein „es stinkt“ genügen. In der Prüfung haben wir uns dann natürlich auch um eine blumige Umschreibung für einen eitrigen Abszess bemüht und unterm Strich haben wir in den Patho-Demo Kursen doch so einiges gelernt, dass wir die Prüfung zu unserer eigenen Überraschung gut hin bekamen.
Was habe ich fürs Leben aus der Pathologie mitgenommen:
nicht alles was schlecht aussieht muss auch schlecht riechen, aber beileibe, nicht alles was gut aussieht, riecht auch gut.