Nach dem neunten Semester gab es den offiziellen Abschlussball unseres Jahrgangs.
Das war noch vor dem dritten Abschnitt der tierärztlichen Prüfung (das Staatsexamen war in drei Abschnitte gegliedert), also nichts für Abergläubische, so von wegen vorher Feiern bringt Unglück und so.
Einer unserer Professoren, drückte das in seiner Rede so aus:
„Heute stehen sie am Abgrund, morgen sind sie sicher schon einen Schritt weiter.“
Das trotzdem so zu machen hatte zwei Gründe:
erstens weil nicht alle gleichzeitig mit den Prüfungen fertig werden würden, hieß übersetzt, feiern bevor sich die Spreu vom Weizen trennen würde und zweitens, feiern wenn man dazu noch in der Lage war.
Augenringe, schlaffe Haut und strähniges Haar machten sich nicht so gut zu Abendkleid und Smoking.
So lautete die Kleiderordnung für den Ball, der im Löwenbräukeller in München stattfand.
Für Männer ist das ja immer relativ einfach, sie müssen einfach nur einen Anzug in der richtigen Größe kaufen. Aber das war für den ein oder anderen auch schon eine echte Herausforderung.
Für uns Mädels war das viel schwieriger, wer die Wahl hatte, hatte eben auch die Qual.
Also ging es ab in die Stadt Abendkleid kaufen.
Ich wollte kein Kleid erretten, so wie mein Mann und ich das mit unseren Weihnachtsbäumen öfter mal taten, ich wollte ein Kleid das mich rettete.
So probierte ich viele an und kaufte dann das, das ich als erstes probiert hatte.
Typisch!
Schnell noch passende Schuhe und Accessoires und ab nach Hause, denn trotz Feierlaune lernten wir ja weiter unsere Telefonbücher auswendig.
Auf einem Ball wird getanzt und um dieses Vergnügen auch allen zugänglich zu machen organisierten Studenten für Studenten einen Tanzkurs.
Der fand abends in dem Hörsaal statt, indem der ein oder andere Tänzer am Morgen noch im Hintern einer Kuh steckte.
Ja, so sind sie die Tiermediziner.
Ich für meinen Teil war froh, dass sowohl mein Mann als auch ich dem Tanzen einigermaßen mächtig waren, denn ich weiß nicht, ob ich die Hörsaal-Doppelfunktion ohne größeren Schaden überstanden hätte.
Dann war er da, der große Tag.
Wir warfen uns in Schale und leisteten uns ein Taxi. Dummerweise hatten wir kein Großraumtaxi bestellt und so blieb ich beim Einsteigen mit der Schuhspitze im Saum meines Kleides hängen. Es machte ratsch und ich hatte ein schönes Loch getreten.
In meiner Vorstellung von einem schönen Ballabend kam dieser Teil definitiv nicht vor.
Es half aber nichts, da musste ich jetzt durch.
In solchen fällen heißt es ja immer „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“, das war aber gar nicht nötig, mein rettender Engel kam in Gestalt einer vollschlanken Garderobenfrau im Löwenbräukeller.
Nachdem wir unsere Mäntel abgegeben hatten wünschte sie uns einen schönen Abend und ich brummelte zurück:
„Mit dem Loch im Kleid wird es sicher unvergessen.“
Da kam die gute Frau hinter der Garderobe heraus schaute an mir herunter und sagte:
„Des bisserl Loch, da wern´s erna doch net den schena Omd verderbn lassn!“
und gleichzeitig gab sie mir ein Näh-Set in die Hand und fragte:
„Sie san doch alle Tiermediziner oder, dann kenans doch sicher nahn?“
So kam es, dass ich hinter der Garderobe auf einem Stuhl saß und das Loch in meinem Kleid mit einer einstülpenden Darm Naht nähte.
Als wir die in Chirurgie lernten, hätte ich auch nicht gedacht, dass sie mir mal meinen Abschlussball retten würde.
Das Loch war zu und bei der schummrigen Beleuchtung im Saal würde später nichts von dem chirurgischen Eingriff an meinem Kleid zu sehen sein.
Wir genossen den Abend, lauschten den Darbietungen der künstlerisch-ambitionierten Mitstudenten, den mal mehr, mal weniger aufmunternden Reden der Professoren und wir tanzten...
In den frühen Morgenstunden ging es nach Hause und aus Cinderella wurde wieder Aschenputtel in Jeans und Gummistiefeln.