"Kennen Sie Herrn Kaiser?“ oder wie ein Werbespot mir durch die Innere half

 

 

Im dritten Abschnitt der tierärztlichen Prüfung hatte man Prüfungen in 13 Fächern zu absolvieren. Am meisten dabei gefürchtet war die im Fach Innere Medizin. Da waren die Durchfallquoten extrem hoch und das nicht erst zur Prüfung. Zum Glück gab es Immodium akut, sonst hätte man die Prüfung in den Toiletten der Klinik abhalten oder die Stühle für uns durch Campingklos ersetzen müssen. Die Prüfungsvorbereitung im Hause Kaiser liefen immer nach dem gleichen Schema ab:

 

zu Beginn gingen mein Mann und ich zum Chinesen gegenüber und feierten Abschied, denn die nächsten Wochen musste er mal wieder ohne mich auskommen.

Am nächsten Tag stand ich früh auf und putzte noch einmal die Wohnung, wobei der Grad der Sauberkeit in direktem Verhältnis zum Schweregrad des Prüfungsfaches stand. Für die „Innere“ hätte unsere Wohnung glatt als Reinraum durchgehen können.

Den Nachmittag verbrachte ich bei Aldi, Lidl und Co. Nervennahrung einkaufen. Eine Dame, die bei so einer Gelegenheit an der Kasse hinter mir stand, fragte:

„Ah Kindergeburtstag?“

und ich antwortete:

„Nein, Staatsexamen!“

Den Abend verbrachte ich dann damit, Liebesperlen auf ein Gummiband aufzufädeln, genauso viele wie es noch Tage bis zur Prüfung waren und mir selbst Leid zu tun.

Wenn ich am Tiefpunkt angekommen war trat mein Mann auf den Plan und machte den Vorschlag:

„Du kannst Dich ja morgen in der Studentenkanzlei abmelden gehen.“

Auch diesmal ging ich auf diesen Vorschlag nicht ein, sondern belud stattdessen den großen Esstisch mit Skripten, Büchern, Stiften, post-it in allen Farben des Regenbogens, den Schokoriegeln, Cola und den Rescue-Tropfen für den Notfall. Das war Tag zwei.

Tag drei stand ganz im Zeichen von „Ich verschaffe mir mal einen Überblick“, gut dass unsere Wohnung eine Galerie hatte, von der aus man den Esstisch im Ganzen überschauen konnte.

Tag vier: Erstellung eines Lernplans.

Tag fünf: Überarbeitung des Lernplans unter dem Motto „Mut zur Lücke“. In Innerer Medizin hatten die Lücken das Ausmaß von schwarzen Löchern. 

Tag sechs verbrachte ich ausschließlich am Telefon. Die mich schon länger kannten, begrüßten mich mit den Worten. „Na hast mal wieder Prüfungen?!“

Tag sieben fällt bei Katholiken bekanntlich auf den Sonntag und da soll man sich ausruhen.

Tag acht spielte ich das Spiel, ich schaffe es, ich schaffe es nicht, ich schaffe es, ich schaffe es nicht…

Tag neun kam immer die Erkenntnis, wenn du jetzt nicht anfängst, dann schaffst Du es ganz sicher nicht.

Problematisch wurde es mit der Vorbereitung, wenn zwischen zwei Prüfungen nur vier Tage lagen oder zwei Fächer an einem Tag geprüft wurden. So erging es mir in Virologie und Geflügelkrankheiten. Diese Prüfungen machte ich zweimal,waren aber im ganzen Studium auch die Einzigen, zum Glück!

 

Aber zurück zur Inneren. Es ist ein ziemlich beschissenes Gefühl, wenn man gerade die letzte Perle vom Gummiband geknabbert hat und man vom „Mut zur Lücke-Lernplan“  nur die Hälfte geschafft hatte, aber kneifen galt nicht und so fuhr ich am anderen Morgen zur Uni und traf da vor dem Hörsaal der Inneren die anderen vier Mädels aus meiner Prüfungsgruppe. Unsere Gesichtsfarbe hob sich nur unwesentlich von der des weißen Kittels ab, den wir trugen. Pünktlich um acht Uhr erschien der Klinikchef mit einem Los Topf. Auto, Haus oder Traumreise, hieß hier Kleintier, Pferd oder Rind. Unsere Gruppe hatte Rind gezogen und so legten wir den weißen Kittel wieder ab, der machte uns sowieso nur blass, und fuhren auf zwei Autos verteilt nach Oberschleißheim in die ausgelagerte Rinderklinik.

 

Dort angekommen wurden wir schon sehnlichst erwartet.

Wir parkten unsere Autos und schleppten unsere Türkenkoffer (extrem große Tragetasche aus Plastik mit Migrationshintergrund) in die Umkleideräume. In jetzt grünem Kittel und farblich passenden Gummistiefeln mit Stethoskop in der Hand stellten wir uns im Stall auf. Unser Professor begrüßte uns sehr freundlich und teilte uns unsere Patienten zu.

In meinem Fall war es ein kleines Kälbchen mit Durchfall.

Das passte wie die Faust aufs Auge oder der Hintern auf den Eimer.

Wir untersuchten unsere Patienten, so gut sie es uns ließen und machten uns Notizen. Mit diesen Aufzeichnungen begaben wir uns in das Zimmer des Professors, nahmen jede auf einem Stuhl Platz und er stellte nochmals unsere Personalien fest. Schließlich kam ich an die Reihe und mit einem Blick in meine Prüfungsunterlagen sagte der Professor:

„Na, wen haben wir denn da? Die Frau Kaiser. Kennen sie denn auch den Herrn Kaiser?“ 

Er meinte natürlich den Herrn Kaiser aus der Versicherungs- Werbung, der lange Zeit allabendlich in deutschen Wohnzimmern zu Gast war, und ich antwortete:

„Freilich kenne ich den, ich bin ja mit ihm verheiratet.“

Darauf sagte er lachend:

„Das gefällt mir, mit einem Bein schon im Abgrund und noch Sinn für Humor.“

Das Eis zwischen uns war gebrochen. 

 

 

Als ich dann nach meinem Durchfall-Kalb auch noch das schöne Thema „Gründe für das Festliegen einer Kuh“ bekam, fing die Prüfung an mir richtigen Spaß zu machen.

Ein Stichwort, das in diesem Zusammenhang unbedingt fallen musste, war die Gebärparese oder auch Milchfieber genannt. Ein um den Geburtszeitpunkt herum auftretender massiver Calcium Mangel bei der Kuh, der zur Folge hat, dass es mit der Muskelkontraktion nicht mehr so klappt und die Kuh nicht mehr stehen kann. Da das in der Milchviehwirtschaft eines der häufigsten Probleme ist, ist die Chance recht groß, das in einem Praktikum bei einem Landtierarzt mindestens einmal live zu erleben. Auch mir war dieses Glück beschieden und so habe ich das ganze dermaßen praxisnah geschildert, einmal war ich in der Rolle der Kuh, dann wieder in der des Tierarztes, dass mein neuer Freund ganz angetan war.

 

Es kamen noch ein paar andere Themen, aber alles in allem hatte ich mich gut geschlagen und die Innere war geschafft.

Wir auch.

 

Als wir aus dem Klinikgelände hinausfuhren, trauten wir uns das erste Mal auf die Uhr zu schauen. Es war kurz nach achtzehn Uhr. Auf meinem Handy, ja die gab es damals auch schon, allerdings hatten sie da noch die Größe eines Rinder-Knochen und darüberwischen tat man nur, wenn Staub darauf lag, waren sechs Anrufe und vier SMS.

 

Der Herr Kaiser vermisste mich schon, denn als ich mich in der früh mit „Bis später“ verabschiedete, dachte er nicht, dass ich das so wörtlich nehmen würde. Ich simste kurz meine geplante Ankunftszeit durch und dann gab ich Gas, schließlich gab es etwas zu feiern, an dem der Herr Kaiser einen nicht unbeträchtlichen Anteil hatte.