In den klinischen Fächern waren wir immer mal für zwei Wochen hinter den Kulissen, soll heißen, wir arbeiteten wie die richtigen Doktors in der Klinik mit.
Ganz nah dran, mit Wochenend- und Nachtdienst und was halt alles so dazu gehört, wenn man ein richtiger Doktor sein will.
In Chirurgie war das besonders aufregend, denn wir durften (oder vielleicht sollte ich besser sagen mussten) hier bei Operationen assistieren.
An dieser Stelle möchte ich einen Tipp an alle weitergeben, die sich für dieses Studium entschieden haben und denen die Chirurgie noch bevorsteht.
Bitte versucht immer mit gefülltem Magen zu euren Einsätzen zu erscheinen, denn man kann nie wissen, wann man zum Essen mal wieder Zeit hat und überlegt Euch gut was ihr antwortet, wenn ihr von einem der Doktors gefragt werdet, ob ihr mal kurz Zeit hättet.
Ich kam damals gerade aus der „Inneren“ zurück, wo ich einen Schäferhund abgeliefert hatte, der für einen kleinen Eingriff in der Chirurgie war.
Gefrühstückt hatte ich daheim nur einen Kaffee und jetzt wollte ich mir schnell im Ärztezimmer eine Breze gönnen, als mich einer von den richtigen Doktors fragte, ob ich ganz kurz Zeit hätte.
Ohne zu überlegen antwortete ich:
„Ja ja, die Breze läuft mir ja nicht davon!“
„Prima, dann assistieren sie mir ganz schnell bei einer OP. Ist ein Notfall, der gerade rein gekommen ist."
Ich marschierte also hinter dem netten Doktor her in den Waschraum.
Während wir uns für die OP vorbereiteten, Hände desinfizierten, in Kittel schlüpften, Schuhe wechselten...erläuterte mir der Doc den geplanten Eingriff.
Es handelte sich um eine kleine Katze, die von irgendeinem Idioten eine Ladung Schrot in die Hinterbeine geschossen bekam. Zum Glück wurde sie von zwei Jungs beim Spielen gefunden und von deren Vater in die Klinik gebracht.
Beim Röntgen zeigte sich das wahre Ausmaß, sie hatte die Schrotkugeln nicht nur in den Muskeln stecken, auch die Knochen an den Hinterbeinen hatten etwas abbekommen.
Das war nur durch eine Plattenosteosynthese zu korrigieren, soll heißen, dort wo der Knochen nicht mehr von alleine hielt, bekam er Unterstützung in Form von Platten und Schrauben.
Das bedeutete für uns, während der OP mussten immer wieder Lagekontrollen durch Röntgenaufnahmen gemacht werden und folglich mussten wir während der ganzen Operation eine Bleischürze tragen.
Sicher hattest Du dieses Vergnügen als Patient beim Röntgen auch schon und kennst daher das Gewicht dieser Teile.
Nur wir lagen nicht Minuten auf einem Röntgentisch, sondern standen Stunden mit diesem Teil an einem Operationstisch.
In dieser Situation hatte ich es das erste Mal bereut nicht Mitglied in einem Fitnessstudio gewesen zu sein.
Mindestens 20 Schrotkugeln in der Nierenschale und zwei Platten mit zig Schrauben in der Katze später, war die kleine Patientin gerettet und ich für meinen Teil überlegte, mir von der Katze die restliche Ringer-Lösung und die Sauerstoffmaske auszuleihen und anzulegen.
Gar nicht auszudenken, was auf mich zugekommen wäre, hätte der Doc gefragt: „Hätten Sie Zeit!“, denn was „Hätten sie kurz Zeit?“ bedeutete, das wusste ich ja jetzt.
Am nächsten Morgen stand ich eine halbe Stunde früher auf und frühstückte wie nie zuvor in meinem Leben. Diesmal wollte ich vorbereitet sein, sollte wieder eine Bleischürze meinen Weg kreuzen.
Es war gut so, denn ich hatte wieder einen Einsatz, diesmal allerdings ohne Bleischürze.
In diesem Fall ging es darum eine gefressene Socke aus dem Magen eines Labradors zu holen. Dieser Hund hatte schon eine eigene Vitrine mit seinen geborgenen Schätzen in der Klinik, denn er war regelmäßig da.
Ich fand ja, er wäre besser als richtiger Staubsauger auf die Welt gekommen.
Das hätte den Vorteil gehabt, dass man einfach nur den Beutel hätte wechseln müssen, so als Hund war der Aufwand immer etwas größer.
Seine Besitzer sahen ihn auch nicht mehr als Hund, sondern mehr so als Sparschwein.
Zu diesem Einsatz bin ich, für meinen Teil, eher zufällig gekommen, denn eigentlich wollte ich nur eine Krankenakte holen.
Das hätte auch fast geklappt, wären nicht zwei andere Kolleginnen kurz vor ihrem OP-Einsatz ausgemustert worden, was wiederum die Bahn für mich frei machte.
Warum sie ausgemustert wurden?
Nun, die eine hatte sich am Vortag einer Maniküre unterzogen, an deren Ende schließlich mega lange tiefblaue Fingernägel ihre Finger zierten und die der Professor wie folgt kommentierte:
"Kommen sie erst wieder, wenn sie sich ihrer Kampfinstrumente entledigt haben!"
Die andere begann zunächst ganz normal den Waschvorgang, aber dann ging sie zur Schwingtür, die den Waschraum vom OP-Saal trennte, und anstelle die Tür mit der Schulter zu öffnen drückte sie beherzt beide Hände gegen die Tür.
Tja das war´s.
Jetzt hatte der Professor die Schnauze voll und wollte neue Kandidaten.
Da außer mir niemand anderer zur falschen Zeit am falschen Ort war, wurde ich engagiert.
Unter den gestrengen Augen des Professors wusch ich meine Pfötchen und dann passierte etwas, das einem als Student normalerweise nicht zu Teil wird, der Professor höchstpersönlich hielt mir mit der Schulter die Tür zum OP auf.
Er hatte vermutlich solche Angst, ich könnte gleich ebenfalls der Macht der Gewohnheit folgend, die Tür beherzt mit den frisch desinfizierten Händen öffnen und diesem Umstand wollte er unbedingt zuvor kommen.
Ich ging also hindurch, bedankte mich höflich und ging zum OP-Tisch.
Wenn Du wissen willst unter welchem Strom man da als Anfänger so steht, dann versuch mal–für den Anfang genügen schon fünf Minuten- mit Deinen Händen einfach mal gar nichts zu machen.
Wetten es juckt Dich spätestens nach zwei Minuten an der Nase oder Du fummelst Dir unwillkürlich durchs Gesicht.
Ich reichte also die verlangten Instrumente an und konzentrierte mich auch ansonsten hauptsächlich auf meine Hände.
Eigentlich wäre man damit schon vollkommen ausgelastet gewesen, aber schließlich war man ja nicht zum Vergnügen hier, sondern um etwas zu lernen. Also wurden einem mittendrin auch noch Fragen gestellt.
Wo welche Nerven möglichst nicht durchtrennt werden sollten, welche Gefäße wo lang liefen, wie die Muskeln hießen, welche Fadenstärke man am besten verwenden sollte...
Da konnte man es wirklich niemandem verübeln, wenn er sich mittels blauer Fingernägel oder einem beherzten Griff an die Schwingtür erstmal aus der Affäre zu ziehen versuchte.
Aber es half halt nichts, da musste man durch, wenn man Tierarzt werden wollte und so kam die Kollegin am nächsten Tag mit kurzen völlig farblosen Fingernägeln.
Der Professor hatte seinen Humor anscheinend doch nicht ganz verloren, jedenfalls begrüßte er die Kollegin am anderen Morgen sehr freundlich, lobte ihre vorbildlichen Fingernägel und sagte:
„Für sie habe ich heute einen ganz besonderen Patienten, der ihnen sicher viel Freude bereiten wird!“
Es war ein Chow Chow und die sind ja bekannt für ihre blauen Zungen.
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