Von Schlachtermessern, großen Kulleraugen und Verkehrskontrollen oder auch das ist Tiermedizin

Ein Professor hat den hohen Anteil weiblicher Studierender im Fach Tiermedizin einmal damit erklärt, dass die Pferde halt so weiche Nasen hätten.

Da mag schon etwas dran sein.

Unter den jungen Mädels steht der Beruf Tierärztin jedenfalls ganz weit oben auf der Liste und hinzu kommt, dass die Mädels oft einfach die besseren Noten haben und somit auch schneller an einen der begehrten Studienplätze heran kommen.

Wie das Studium wirklich ist und was da alles an Anforderungen bewältigt werden muss steht bei den Überlegungen meist nicht so direkt im Vordergrund, vielmehr ist es einfach der Wunsch kranken Tieren helfen zu wollen.

 

Aber das Fach Tiermedizin bereitet einen auf alle tiermedizinischen Betätigungsfelder vor und die kurative Tiermedizin ist eigentlich nur ein kleiner Teil des Ganzen. Merkt man das erst während des Studiums ist die Landung etwas härter.

Ein wichtiger Teil ist der Bereich Lebensmittel tierischen Ursprungs und dazu gehört natürlich auch alles rund um den Schlachthof. 

Ich möchte das jetzt nicht zu tiefgründig angehen, aber ein paar Aspekte nennen, über die man zumindest mal nachgedacht haben sollte. 

 

Muss man ein Tier einschläfern ist das immer schlimm, aber man kann sich damit trösten ihm dadurch größeres Leid erspart zu haben.

Am Schlachthof werden gesunde junge Tiere getötet, damit wir rund um die Uhr volle Theken und Kühltruhen mit Wurst und Fleisch haben und das zu immer niedrigeren Preisen.

Aus meiner Erfahrung am Schlachthof kann ich nur sagen, müsste jeder der ein Schnitzel haben will das Schwein oder Rind auf dem Weg dahin einmal hautnah begleiten...wir hätten weniger Massentierhaltungen und auch nicht einen derartigen Preisverfall. Es kann nicht sein, dass eine Dose Hundefutter mehr kostet, als abgepacktes Hackfleisch.

Und hat man einmal in die großen panischen Kulleraugen einer Kuh, kurz vor dem Bolzenschuß, geblickt... man bekommt eine andere Sicht auf die Dinge.

Ich kann mich an einen Tag am Schlachthof erinnern, da habe ich meinen ansonsten heiß geliebten roten Corsa verflucht, weil er zu klein war um eine Kuh hinein zu bekommen. Durch eine Verzögerung am Schlachtband (so heißt das in der Fachsprache) musste sie länger auf den Bolzenschuß warten, als normalerweise. Ich habe ihr dabei in die Augen geblickt und diesen Anblick werde ich nie vergessen. Hätte es irgendeine Möglichkeit gegeben, ich hätte sie gerettet.

 

Ausgerechnet an diesem Tag war abends ein Kinobesuch mit Freunden geplant.

Im Nachhinein betrachtet war das aber gut, denn manchmal braucht man einfach eine Ablenkung.

 

Ich saß also alleine, ohne die Kuh, in meinem kleinen roten Corsa und fuhr ziemlich zügig, weil ich vom Schlachthof weg wollte und weil ich wusste, dass ich nur gewaschen und umgezogen mit ins Kino durfte.

 

Durch meinen leicht rasanten Fahrstil war ich gut in der Zeit und ohne den Polizisten mit seiner Kelle kurz vorm Ziel, wäre das sicher ein neuer Streckenrekord geworden.

Nur schweren Herzens folgte ich seiner Aufforderung rechts ran zu fahren.

Da standen schon mehrere Fahrzeuge und so reihte ich mich brav hinten ein. Schließlich trat ein netter junger Polizist neben meine Tür und klopfte an die Scheibe.

Ich kurbelte wie eine Wilde und während er mich etwas befremdlich anschaute, sagte er:

„Sie kurbeln so schnell wie sie fahren“ dann machte er eine kleine Pause und schob ein „Verkehrskontrolle, Führerschein- und Fahrzeugpapiere bitte!“ hinterher.

 

Ich kramte in meiner Tasche und gab ihm was er verlangte.

Er verschwand kurz in seinem Polizeiauto, um dann mit zügigen Schritten wieder zurückzukommen.

„In Ordnung, wenn sie mir jetzt bitte noch den Kofferraum öffnen würden!“

 

Auch das noch, hoffentlich hatte der Film einen extra langen Vorspann.

Ich stieg aus, ging nach hinten und öffnete die Klappe.

Der Polizist, der eigentlich nur den Verbandskasten und das Warndreieck sehen wollte, schaute zunächst fassungslos in meinen Laderaum, dann zu mir und schließlich rief er sich seine Kollegen zur Verstärkung.

 

Da standen wir also zu viert hinter meinem roten Corsa und starrten in dessen Inneres.

Ein älterer, etwas beleibter, Polizist gewann als erster seine Fassung wieder und fragte mit einem Kopfnicker Richtung Kofferraum:

„Sans deshalb so rasant g´fahrn?“

Ich antwortete: „Na, as Kino fangt o und i wollt vorher no duschen!“

 

An dieser Stelle sollte ich vielleicht noch erwähnen, welcher Anblick sich den Polizisten bei dem Blick in meinen Kofferraum bot:

Da stand eine blaue Tragetasche aus einem großen schwedischen Möbelhaus, in der sich eine weiße Gummischürze, ein paar weiße Gummistiefel und ein weißer Kittel stapelten und zuoberst lag, als krönende Garnierung, ein noch blutiges Schlachtermesser.

 

An dieser Stelle ist ein erklärender Einschub nötig:

So wie in der Humanmedizin gibt es auch in der Tiermedizin eine ganze Reihe an Fachärzten. Die Ausbildung zum Fachtierarzt dauert im Schnitt, zusätzlich zum 11 Semester dauernden Studium noch einmal 3 bis 5 Jahre, abhängig von der Fachrichtung. Auch für den Bereich rund um das Gebiet Lebensmittel tierischen Ursprungs gibt es verschiedene Facharztbereiche. 

Der Tierarzt der sich zum Fachtierarzt für Fleischhygiene und Schlachthofwesen weiter bildet hat dann ganz viele Aufgaben. Er muss die am Schlachthof angelieferten Tiere auf ihren Gesundheitszustand untersuchen, ob sie überhaupt zum Schlachten geeignet sind, er muss den Schlachtvorgang überwachen, die geschlachteten Tierkörper einer Tauglichkeitsuntersuchung unterziehen. Erst wenn eine Tierhälfte einen Tauglichkeitsstempel erhalten hat darf sie in die Zerlegung und als Lebensmittel verarbeitet werden...

Als Tiermedizinstudent/in muss man sich auch in all diese Bereiche einarbeiten, ob man will oder nicht.

Mein Messer war blutig, denn an diesem Tag war ich für die "Fleischbeschau" zuständig und da werden zu der kompletten Adspektion (Besichtigung) der Tierhälften noch vorgeschriebene Lymphknoten angeschnitten und bestimmte Organschnitte gemacht und nur Tierkörper ohne Auffälligkeiten dürfen dann weiter verwendet werden.

 

weiter mit der Anekdote:

„Wo kemmans denn her?“

„Vom Schlachthof!“

„Des glaub i glei und jetzt woins ins Kino?“

„War schee!“

„Was hams denn g´macht am Schlachthof?“

„A Praktikum!“

„Ah ha, für wos?“

„Tierarzt!“

„Sie?“

„Ja i!“

„Und des solln ma erna jetzt obkaffa?“

„Na, des brauch i ja fürs nächste Moi wieder!“

 

An diesem Punkt der Konversation hielt ich es jetzt doch für ratsam meinen Studentenausweis zu zücken. Erstens weil ich immer noch ins Kino wollte und zweitens weil die anderen Autofahrer allmählich ungeduldig wurden.

 

Der kurz vor der Pensionierung stehende Polizist murmelte kopfschüttelnd:

„Jetzat bin i scho so lang bei dem Verein, aber sowos hab i a no nia dalebt!“

 

Tja irgendwann ist immer das erste Mal, ich war vorher auch noch nie in einer Verkehrskontrolle.

Ich machte die Klappe zu, zahlte 10 Mark (der Euro kam erst später) für etwas zu schnelles Fahren, verabschiedete mich höflich und fuhr mit jetzt genau 50 km/h meiner Dusche entgegen.

Bei einem kleinen Kontrollblick in den Rückspiegel merkte ich mit Schrecken, dass ich noch immer das Netzhäubchen auf dem Kopf hatte, das aus Hygienegründen am Schlachthof vorgeschrieben war.

 

Jetzt konnte ich mir auch den irritierten Gesichtsausdruck des jungen Polizisten erklären, gleich zu Beginn unseres Kennenlernens, als er den Inhalt des rückwärtigen Teils meines Autos noch gar nicht kannte.

 

Tja, normalerweise wurden Schürze, Stiefel und Messer noch am Schlachthof penibel gereinigt und das Netzhäubchen selbstverständlich vom Kopf entfernt, aber an diesem Tag wollte ich einfach nur weg und ich konnte ja nicht ahnen, dass ich ausgerechnet heute die erste Verkehrskontrolle meines Lebens zu absolvieren hatte.

 

Abgesehen von der Einstellung zum Fleischkonsum etc.hatte dieses Erlebnis in mir noch etwas bewirkt:

noch heute fast zwanzig Jahre später, wenn ich an einem Polizeiauto vorbei fahre gehe ich in Gedanken schnell den Inhalt meines Kofferraumes durch und werfe einen kleinen Blick in den Rückspiegel.

 

Ja, ich weiß das war heute ein schweres Kapitel, aber ich hoffe Du schaust trotzdem wieder vorbei. Das nächste Mal statten wir der Tierernährung einen Besuch ab und das wird wieder leichtere Kost.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0