Das dritte und vierte Semester stand ganz im Zeichen von immer noch und jetzt erst Recht
Anatomie, bloß dass da jetzt noch Physiologie, Histologie und Embryologie und
BIOCHEMIE dazu kamen. Wieder mal schleppte ich Männer daheim an, diesmal waren
es Amerikaner. Dass die gerne mal zu Übergewicht neigen weiß man ja…ich machte also
für Herrn Lehninger, Nelson und Cox die Wohnungstür ganz besonders weit auf und machte
sie mit den Herren Nickel, Schummer und Seiferle bekannt. Irgendwie hatten die
sich aber nicht allzu viel zu sagen und so zogen sich die Amerikaner ziemlich
früh ins Bücherregal zurück. Ich hatte erstmal auch nicht allzu viel Kontakt zu
ihnen. Wir sprachen einfach nicht die gleiche Sprache.
Prinzipien der Biochemie.
Nun ich hatte auch meine Prinzipien.
Ein Buch das 1223 Seiten hat und das Format einer Tischtennisplatte, sich einem aber als Einführung in die Biochemie vorstellt… ich sehe wir verstehen uns.
Erschwerend kam auch noch hinzu, dass unserem Prof anscheinend keiner gesagt hatte, dass wir Tiermedizinstudenten waren. Ich glaube, er hat wirklich bis zur Prüfung gedacht wir
würden Biochemie im Hauptfach studieren. In der Prüfung kam dann aber schnell die Ernüchterung.
Auf beiden Seiten.
Ich vermute, nein ich bin mir ziemlich sicher, das einzige Mal, dass ich in Biochemie etwas zu lachen hatte, war als in einer Vorlesung ein Student die These aufstellte, die Kinder von besagtem Prof hießen sicher Glucnac und Galnac.
Richtig geschrieben werden sie GlcNAc und GalNAc und sind
in ersterem Fall ein Derivat der D-Glucose und im zweiten Fall ein Derivat der
Galactose, oder einfach ausgedrückt Zucker.
Zu deinem und zu meinem Wohl lassen wir es damit bewenden.
Die Prüfung im Physikum bestand aus einem schriftlichen und einem
mündlichen Teil. Das ist eine ganz blöde Sache, dann muss man sich nämlich in
der mündlichen Prüfung erstmal anhören wie bescheuert man sich in der
schriftlichen angestellt hat.
Ich hatte zudem den schweren Verdacht, je weniger Punkte man schriftlich hatte, umso
kleiner wurde auch der Stuhl für die mündliche Prüfung ausgewählt. Ich saß
jedenfalls auf einem solchen Mickerding, dass mir gleich klar war, das würde
kein Gespräch auf Augenhöhe werden. So ein ähnliches Gefühl hatte ich erst
wieder am ersten Elternsprechtag in der Grundschule meines Sohnes. Konkret hieß
das, dass ich die ganze Prüfung über auf ein Meer aus Blumen schaute, dabei
fand ich Hawaiihemden schon immer scheußlich. Tom Selleck konnte die vielleicht
tragen, aber ganz sicher nicht mein Prüfer in Biochemie. Da waren wir also
mitten in einer Folge von „Magnum“ (Kultserie in den 80iger Jahren des letzten
Jahrhunderts) und ich leider nicht in der Rolle des Higgins, sonst hätte ich
spätestens bei der Frage nach dem Zitronensäurezyklus Apollo und Zeus
losgelassen.
Doch Zitronensäurezyklus hin oder her, ich hatte Biochemie bestanden
und damit verfiel ich in einen tagelangen Euphorie-Rausch. Erst die
Nasennebenhöhlen des Pferdes, mein Körperhöhlen-Thema in der Anatomieprüfung,
holten mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Eine Brust-, Bauch-,
oder Beckenhöhle ja darauf wäre man eventuell vorbereitet gewesen, aber die
Nasennebenhöhlen des Pferdes. Das war ja fast noch schlimmer als
Zitronensäurezyklus bei Magnum. Nur, dem danach auf dem Tisch liegenden
Rinderuterus hatte ich es zu verdanken, dass Anatomie nicht vollends in die
Hosen ging. Aus Dankbarkeit gab es in den nächsten Wochen bei uns daheim nur
noch Schweinefleisch.
Was haben Billi Zöckler, Wassily Kandinsky und ein physiologischer Nabelbruch
gemeinsam?
Sie erinnern mich an Histologie und Embryologie.
Unsere Dozentin sah aus wie Billi Zöckler, die von uns mit Buntstiften angefertigten Bilder im Mikroskopier-Kurs stellten selbst einen Kandinsky in den Schatten und der physiologische
Nabelbruch war eine meiner Prüfungsfragen. Alles in allem war das aber eine
sehr entspannte Angelegenheit bei der Billi, wir haben uns richtig nett
unterhalten und man schöpfte wieder ein klein wenig Hoffnung.
Es fehlte aber noch die Vierte im Bunde, die Physiologie.
Neben der Vorlesung gab es auch hier ein scheinpflichtiges Praktikum, in dem man so nette kleine Versuche machte, für die immer einer aus jeder Gruppe das Versuchskaninchen spielen durfte.
Bei der Kaninchenauswahl hatte sich das „Schnick Schnack Schnuck“-Verfahren
bewährt.
Beim Thema Kreislauf bestand die Aufgabe des Kaninchens zunächst darin, es sich auf einer
Liege bequem zu machen. So bekam das „Schnick Schnack Schnuck“-Verfahren in
diesem Fall seinen ganz besonderen Reiz, denn bei dem chronischen Schlafmangel durch
nächtelanges Brüten über Anatomie und anderen Büchern, war so ein Päuschen auf einer
Liege mal eine sehr willkommene Abwechslung. Dass wir in diesen Versuchen unser
Kaninchen beinahe der Wissenschaft geopfert hätten, relativierte das ganze
später wieder etwas. Aber immer schön der Reihe nach.
Mit Schere schlägt Papier und Papier schlägt Stein hatten wir noch einen Protokollführer und einen Messknecht ermittelt. Während letzterer Blutdruck Messungen am Kaninchen
durchführte, trug der Protokollführer die Ergebnisse dieser Bemühungen in eine
Liste ein. Die restlichen „Schnick Schnack Schnucker“ waren für den seelischen
Beistand zuständig.
Unser Kaninchen schien sich absolut wohl zu fühlen, ja es war
beneidenswert tiefenentspannt. Einen Zusammenhang mit dem 90/60 in unserem
Messprotokoll stellten wir zu diesem Zeitpunkt nicht her. Wir waren fest davon
überzeugt, dass das allein an unserer ruhigen, souveränen Art lag, die ja eine
äußerst wichtige Vorrausetzung für einen guten Arzt war.
Im Anschluss an die Versuche fanden Testate statt, in denen die Grundlagen zu dem jeweiligen Thema abgeprüft wurden. Das fanden wir immer eher tödlich. In diesem Fall allerdings war es für unser Kaninchen eher das genaue Gegenteil. Lebensrettend quasi.
Unser Quizmaster für das heutige Thema, ein Assistent und damit verglichen mit den Professoren ein richtig harter Bursche, betrat das Zimmer, klatschte
in die Hände und sagte:
„Also meine Damen dann wollen wir mal!“
Bei fünfen von uns stieg der Adrenalinspiegel im Blut sofort drastisch an, nur unser
Versuchskaninchen schien heute dagegen völlig immun zu sein. Es blieb
vollkommen ruhig auf seinem Lager liegen. Das kam jetzt nicht nur uns komisch
vor, auch unser Quizmaster schaute etwas irritiert drein. Von seiner Autorität
aber vollkommen überzeugt, klatschte er noch mal in die Hände und fragte in Richtung Kaninchen:
„Brauchen sie da hinten eine schriftliche Einladung?!“
Nein die brauchte unser Kaninchen nicht, sondern eine Cola, ein feuchtes Tuch auf die Brust und die Beine hoch.
Unser Kaninchen hatte passend zum Thema Probleme mit dem Kreislauf. Entgegen
sonstiger Gewohnheiten durfte es deshalb das Testat im Liegen absolvieren und
wir anderen hatten gelernt, in der Medizin ist nicht immer alles so, wie es auf
den ersten Blick scheint.
Mit dieser ungeheuren Erkenntnis gingen wir in die klinischen Semester...
Fortsetzung folgt...
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